composer
Die Suche nach „Schönheit”
Oder: wie komponiert ein Komponist?
Das ist eine der häufigsten Fragen, die einem zu Ohr kommt, wenn man diese seltsame Tätigkeit ausübt. Oft gebe ich zur Antwort ‚Es ist gar nicht das Mysterium, für was es gehalten wird. Wenn man es das ganze Leben lang gemacht hat, ist es ganz einfach das Natürlichste der Welt. Genauso wie ein Schriftsteller in Worten denkt, denken wir halt in Musik.‘ Doch ist es wirklich „Denken“? Und wie geschieht es eigentlich, dass ein Anfang auf einmal da ist, die Musik sich daraus entwickelt und schliesslich zu einem Ende findet? Entscheidet der Komponist bewusst, wohin die Musik gehen soll? Oder hat die Musik gar ihren eigenen Willen, wie das der finnische Komponist Einojuhani Rautavaara einmal in einem Interview gesagt hat? Sind wir demnach nur die Geburtshelfer? Das „Wundern“ über das eigene Tun, erlebt vermutlich jeder Komponist in der einen oder anderen Weise.
Der innere Antrieb zum Komponieren von Musik kann ganz verschiedene Quellen haben. Auch die Vorgehensweise ist sehr persönlich. Der eine sucht Inspiration in der Natur oder in seiner Erfahrungswelt, ein anderer in mathematischen Gesetzmässigkeiten. Wie weit sich ein Komponist auf seine Inspiration verlässt und seine Vorgehensweise bewusst wählt, und wie weit er ganz einfach „nicht anders kann“, bleibt oft auch für ihn selber ungewiss.
Ich habe das Gefühl, mein eigener Antrieb entspringt im Grossen gesehen einer Suche oder Sehnsucht nach „Schönheit“ in der Musik. Doch mit diesem Begriff „Schönheit“ begibt man sich sogleich auf Glatteis. Was sollte „Schönheit“ in der Musik sein? Was man darunter verstehen kann, ist äusserst undeutlich, biegsam und subjektiv. Ich verstehe darunter weder ein ästhetischer Idealzustand noch etwas durchwegs „Positives“, sondern ich verstehe darunter vielmehr eine innere oder man könnte auch sagen seelische Resonanz beim Erleben von Musik. Die Begriffe „Schönheit“ und „Harmonie“ scheinen eng verbunden zu sein. Schönheit und Harmonie in der Musik scheint eine gewisse Ausgewogenheit zu sein, dessen, was wir als Gegensätze wahrnehmen. Ist diese Ausgewogenheit im Werk gegeben oder entsteht sie auch bloss in unserem inneren Erleben, kann paradoxerweise auch Hässlichkeit „schön" sein und Harmonie kann als solche empfunden werden, gerade weil Disharmonie und Dissonanz gegenwärtig ist. Die Musik lebt von Gegensätzen und Kontrasten. Fehlen diese, wird sie „ein-tönig“. Kontraste wie Dissonanz-Konsonanz, schnell-langsam, laut-leise, pulsierend-schwebend, Spannung-Entspannung hauchen der Musik erst ihr Leben ein. Wie tief diese Kontraste jedoch empfunden werden, ist wiederum sehr subjektiv.
Ich meine, dass Schönheit und Harmonie in ihrer Vollkommenheit oder Absolutheit mit menschlicher Kreativität nie erreicht werden können und es deshalb für immer bei der Suche und Sehnsucht bleiben wird. Wenn wir aber nicht von menschlicher Kreativität sprechen und einen Blick in die Natur werfen, sind sich wohl viele einig, dass so etwas wie vollkommene Schönheit existiert, unabhängig davon was wir betrachten: einen bunten Schmetterling, einen Regenwurm, oder gar eine verdorrte Pflanze. Schönheit ist in allem „schon da“ und zu entdecken, es ist nur die Frage, ob und wie wir sie wahrnehmen. Schönheit in der Natur kann als vollkommen empfunden werden, weil wir überzeugt sind, dass wir sie als Menschen durch keinerlei Eingriff verbessern können. So sehe ich auch Schönheit in der Musik; Schönheit, die uns berührt, bewegt oder erschüttert ist verbunden mit der Gewissheit, dass alles „so sein muss“ und am richtigen Platz ist, dass auch die kleinste Veränderung daran nichts verbessern könnte.
Dem intuitiven schöpferischen Vorgang geht eine musikalische "Vision" voraus. Eine solche musikalische Vision vermag der entstehenden Musik einen gewissen Fluss zu geben, dem sich später auch der Interpret hingeben kann und der auch vom Zuhörer bewusst oder unbewusst wahrgenommen wird, als eine Art Folgerichtigkeit des musikalischen Geschehens. Durch diesen Fluss kann die Musik eine Stimmigkeit erhalten, die beim Interpreten oder Zuhörer zum Gradmesser für das „Verstehen“ wird, ganz unabhängig von Stil, Zeitgeist, Epoche und Kultur. Obwohl es heikel ist, bei einem so subjektiv wahrgenommenen Phänomen wie der Musik von Verstehen zu sprechen.
Auf der anderen Seite ist der Intellekt ein wunderbares Werkzeug zum Begreifen, Analysieren, Sezieren, Kombinieren. Doch "Ganzheiten" kann er weder schaffen noch wahrnehmen. So ist es uns beispielsweise letztlich unmöglich Nichtdimensionalität oder auch Unendlichkeit intellektuell wirklich zu erfassen und uns vorzustellen, obwohl wir mathematisch damit umgehen können.
Dem rein intellektuellen Kompositionsvorgang liegt eine blosse Willensanstrengung als Antrieb zu Grunde, mit dem zur Verfügung stehenden Wissen und den daraus resultierenden Ideen-Palette ein sinnvolles „Ganzes“ zu schaffen. Das Ergebnis kann virtuos und interessant sein. Doch trotz bis ins letzte Detail durchdachtem und aufgehendem Konzept hängt dem tönenden Ergebnis oft eine gewisse Willkür an, die die permanente Frage aufwirft, warum so, und warum nicht anders? (Die „Folgerichtigkeit“ des musikalischen Geschehens wird dann oft von aussermusikalischen Inhalten wie Texten und Konzepten ausgeliehen.)
Wer nach dem Poetischen, Zauberhaften, Transzendenten in der Musik sucht, ist mit Konzepten und logischem Denken erst einmal schlecht bedient. Während der intuitive schöpferische Vorgang zu Musik führen kann, die über das Persönliche hinausgeht, wird die reine Kopfgeburt sich im Kreise der im Gedächtnis gespeicherten Möglichkeiten drehen.
Die Suche nach „Schönheit“ im Sinne innerer Resonanz, wie ich sie verstehe, ist nicht eine aktive Handlung oder ein aktives Streben nach etwas. Vielmehr begibt man sich in eine gewisse Stimmung, in der man erst einmal abwartet, was passiert. Es ist ganz unspektakulär eine Art Tagträumen, ein Ruhezustand des permanenten Denkens, und diese Ruhe muss nicht notgedrungen auch die Aussenwelt betreffen. Intuitiv Komponierende haben ihre Rituale, wie sie sich in diese Stimmung bringen können. Ich suche gerne Abgeschiedenheit und Losgelöstsein von jeglichen Verpflichtungen, um vollständig und unabgelenkt in die Arbeit einzutauchen. In den letzten Jahren sind mir die alpine Landschaft in der Schweiz und in Vorarlberg Zufluchtsorte gewesen.